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  • AutorenbildMauren Morgana John

Soldaten

So viele waren sie links und rechts von ihm. Vor und hinter ihm waren nochmal so viele. Eine einzige Ansammlung, eine Masse an Menschen umgab Thomas und schloss ihn in sich ein, jedoch nicht als Zentrum, sondern als ein Teil ihrer, der seine Individualität, seine Persönlichkeit und seine Eigenheit verloren zu haben schien. Er genoss genau jenes. Teil dieses Großen zu sein in einheitlicher Bewegung nach vorne. Hätten sie Uniformen getragen und hätte es nicht hier und dort ungerichtete Bewegungen einzelner gegeben, so hätte man den Aufmarsch für einen militärischen Akt halten können. Auch wenn es wohl kaum einer zugegeben hätte, so waren die Demonstranten eben doch genau das: Soldaten. Soldaten, die gehorchen. Soldaten, die marschieren. Soldaten, die Befehle ausführen. Der Marsch war ein unkoordinierter Lauf, zielstrebig und doch ohne schlussendlich zu erwartende Ankunft. Sie gehorchten dem Strom, in dem sie so wohlig gefangen waren und befolgten die Befehle der Massendynamik, die ohne Worte wie ein tief verborgener Instinkt funktionierte.


Thomas marschierte mit den anderen Soldaten weiter, als sie in einen hypnotischen Singsang aus Rufen der Forderungen fielen. Die Worte dahinter waren unwichtig. Es ging nur um die vereinigte Gruppe und die Repräsentanz ihrer Macht als Volk. Plötzlich wurde der Demozug schneller und mit ihm Thomas ohne zu wissen weshalb. Das Tempo erhöhte sich kontinuierlich ohne für ihn ersichtlichen Grund. Aber es war egal warum. Denn immerhin waren sie eins und er war nur ein Soldat. Marschierend, gehorchend und ausführend.


Mittlerweile rannte die Masse und die melodisch erklingenden Vorderungsschreie wurden unterbrochen von hektischem, aggressivem oder panischem Geplärr. Thomas wurde heftig angerempelt, geschupst und immer weiter voran gedrängt. Sein Herz schlug schneller. Er war in einem Zwiespalt zwischen der Sicherheit der Gruppe und einer niederen, nahezu tierischen, instinktiven Angst, die allmählich in ihm aufstieg. Ein beengendes Gefühl bahnte sich in ihm an und die Angst, die allmählich in ihm aufstieg. Ein beengendes Gefühl bahnte sich in ihm an und die Angst machte ihn wieder mehr zu einem Individuum und trennte ihn emotional von der Armee.


Eine Hand ergriff aus der Masse heraus seinen Arm. Reflexartig schüttelte Thomas den Griff ab und drehte sich im Laufen kurz um. Er sah, dass der gefühlte Angriff ein Hilfeschrei war, denn der Demonstrant, der nach ihm gegriffen hatte, stürzte taumelnd zu Boden. Panik und Furcht blitzten in seinen Augen, als er fiel. Noch bevor sein Körper auf dem harten Asphalt aufschlug, wurde er von der Menschenmenge getreten, niedergedrückt und zertrampelt. Thomas sah es, war zu erstarrt und zu sehr Teil der vorwärtsströmenden Bewegung, um zu helfen und so drehte er sich wieder der ursprünglichen Richtung zu und lief. Denn was auch war, denn was er auch fühlte, war er doch ein Soldat. Ein Soldat, der marschiert. Ein Soldat, der gehorcht. Ein Soldat, der Befehle ausführt.





Vor einigen Jahren schrieb ich diese Kurzgeschichte (ich gewöhne mir jetzt an meine Werke mit Datum zu versehen; das nervt doch sonst). Massendynamik ist eine Faszination für sich und wir können sie jederzeit beobachten. Nicht nur bei Demonstrationen, sondern auch in alltäglicheren Situationen. Und gerade die kleinen, alltäglichen Dynamiken, morgens in der U-Bahn oder Kinder, die auf den Pausenhof laufen, sind unglaublich interessant zu beobachten.

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